Basel-Stadt erlebt wegen der zahlreichen Strassensanierungen, dem Ausbau des Fernwärmenetzes, der Umsetzung des BehiG. bei den ÖV-Haltestellen und Neubauten eine unvergleichlichen Bauboom. Die Aktivitäten sind ein Allgemeinplatz bei den Diskussionen, nicht nur wegen der Investitionen von Steuergeldern, sondern auch wegen der Hitzetage: Passanten fragen sich, ob Asphalt immer erste Wahl sein muss, ob es nicht Alternativen gibt. Mit den Hitzetagen werden grosse Asphaltflächen, Parkfelder und nicht beschattete Trottoirs kritisch gesehen.
Die Regierung wird zunehmend mit Fragen konfrontiert, welche die Ausgestaltung der Strassen betreffen. Das ist bei der Umgestaltung des Wielandplatzes eine Parlamentarierin der Fall. Der Regierungsrat Basel-Stadt Antwortet auf die Interpellation: Bei der Umgestaltung des Wielandplatzes in Basel-Stadt wurde auf die Wünsche der Bevölkerung abgestimmt. Nebst attraktiven Aufenthaltsflächen, mehr Grün und mehr Bäumen hat diese auch Flächen für Aktivitäten wie einen Wochenmarkt oder einen Quartierflohmarkt gewünscht. Entsprechend sind einzelne Flächen mit im Sand verlegten Pflastersteinen ausgebildet worden, wo sich mit der Zeit eine grüne Fugenvegetation einstellt, die auch zur Versickerung vor Ort beiträgt. Pflastersteine erhitzen sich zudem weniger als Asphalt, was zu einem kühleren Stadtklima beiträgt.
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Der Argumentation folgend wäre darauf zu achten, dass möglichst viele Flächen mit Kopfstein in Sand gelegt wird. Vor Ort präsentiert sich leider ein anderes Bild: Grosse Lasten der Spedition oder LKWs, Leitungen im Boden, Strassenreinigung sowie die Gefahr von Frostschäden ist das, was bei den Entscheiden zählt. Bei Reparatruren von Leitungen im Boden muss damit leider mit schweren Werkzeugen gearbeitet werden. Das erzeugt Lärm und Bauschutt, wie wir es vom Aufbrechen von Asphalt kennen.
.»Der Boden, auf dem du gehst«
Die Hitze macht auch ländern im Süden zu schaffen. Ángel Panero, Professor an der Uni in Santiago de Compostela kam eine Idee, als er während des Lockdowns eine Baustelle in der Nähe Wallfahrtskathedrale von Santiago besuchen wollte. Die riesige Fläche der Praça do Obradoiro vor der Kathedrale war menschenleer – und grün: Der berühmte Platz, über den in normalen Jahren Hunderttausende von Pilgerfüßen wandern, hatte sich in ein Biotop für Unkräuter verwandelt. Unzählige kleine Pflänzchen hatten sich in den Fugen der Granitplatten angesiedelt.
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Ángel Panero ist für die Instandhaltung und Sanierung des historischen Zentrums betraut. Die Arbeitsgemeinschaft besteht aus Architekturbüros und Stellen in der öffentliche Verwaltung. Seit mehr als zehn Jahren koordiniert er das Programm »Der Boden, auf dem du gehst«. Die gebrochenen Steine zu reparieren und zu recyceln, um ihre Auswechslung möglichst zu vermeiden ist das Ziel. Das würde normalerweise mit einer harten Pflasterung gelöst, indem die Fugen mit Mörtel geschlossen werden. Beim Anblick der Pflänzchen zwischen den Pflastersteinen stellte er sich eine neue Frage: Was wäre, wenn die Fugen der 60 000 Quadratmeter Granitplatten in Santiago de Compostela von bestimmten Pflanzenarten besiedelt würden? Was könnten die Pflänzchen für das Ökosystem leisten?
Panero war sich bewusst, dass er die Stadt nicht mit ästhetischen Argumenten überzeugen konnte. Also fing er an zu rechnen: »Plötzlich wurde mir klar, dass eine Fläche zusammenkäme, die fast einem Fußballfeld entsprechen würde – und das mitten in der historischen Stadt!« So viel Grün durch Besiedlung der Fugen, das könnte viele Vorteile mit sich bringen, überlegte er: angefangen bei der biologischen Vielfalt bis hin zum Wasserhaushalt der Stadt.
Gerade mit der Wasseraufbereitung hat Santiago ein Problem. Es gibt keine getrennten Abwassersysteme. »Das Regenwasser kommt in denselben Kollektor wie die Abwässer der Haushalte, und dann geht alles in die Kläranlage«, erklärt Panero. Dort muss es mit dem übrigen Schmutzwasser aufbereitet werden, was die Stadt etwa ein Prozent ihres Jahreshaushalts kostet: rund eine Million Euro.
Mit jedem neuen Baum aber, mit jeder neuen Wiese gewinnt das Land Wasser zurück. »Wenn wir es schaffen würden, gar kein Regenwasser mehr ins Netz zu leiten, könnten wir also bis zu eine Million Euro einsparen«, ist sich der Stadtplaner sicher. Schon vor Jahren hatte er mit dem Bürgermeister darüber gesprochen.
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Mit dieser Idee im Hinterkopf beauftragte das Konsortium bei der Universität von Santiago de Compostela eine Bestandsaufnahme der »Unkräuter«, die in den Fugen sprossen. Fachleute sollten die Pflanzen bestimmen und deren Auswirkungen auf die Steinplatten untersuchen: Welche sind schädlich für den Steinboden, welche bringen Vorteile? »Wir brauchten die biologische Expertise, denn bei der Besiedlung könnte es auch zu einem Wachstum von Algen kommen, die glitschig sind. Am Ende könnten Leute ausrutschen.«
.Wegerich und Mauerblümchen
Die Botaniker der Universität von Santiago de Compostela unter der Leitung von Miguel Serrano gingen mit großem Enthusiasmus ans Werk. Das Team identifizierte insgesamt 44 Spezies. Und dann machten die Forschenden eine unerwartete Entdeckung.
Wenn im Sommer die Sonne auf die Plätze der nordspanischen Altstadt knallt, verwandeln sich die Granitplatten in regelrechte Heizkörper. Bei einer Tagestemperatur von 30 Grad Celsius sind 55 Grad heiße Platten keine Seltenheit. Als Serranos Team den unkrautbewachsenen Boden mit einer Wärmebildkamera filmte, stellte es fest, dass er deutlich kühler war: Bis zu 28 Grad weniger zeigte das Messinstrument. In einer Höhe von 1,8 Metern – also in Kopfhöhe – ist der Unterschied weniger stark ausgeprägt, beträgt aber immer noch zwei bis drei Grad. Auch die städtischen Temperaturen in der Nacht könnten wegen des kühleren Granits merklich geringer ausfallen.
Der außergewöhnliche Temperaturabfall kommt zu Stande, weil die Pflanzen, um Fotosynthese betreiben zu können, ihre Poren öffnen müssen. Dabei verdunstet Wasser aus den Blättern, was der Umgebung Energie entzieht: Die Pflanze kühlt die Umgebung ab.
»Die Ergebnisse sind sehr ermutigend, gerade was die Wärmeregulierung angeht. Denn Santiago besteht aus Granit«, sagt Panero. »Etwas scheinbar Belangloses, wie die Besiedlung der Bodenfugen in einer Stadt, kann also sehr wichtige Ökosystemleistungen bringen.« Die Pflänzchen kühlen nicht nur die aufgestaute Hitze, sie halten auch Wasser zurück, speichern CO2 und produzieren Sauerstoff. Sie begünstigen die Artenvielfalt und unterstützen damit die Gesundheit der Menschen in der Stadt. Außerdem »drücken ihre Wurzeln in den Fugen die Steine zusammen, was die Stabilität der Platten erhöht«, fügt der Architekt hinzu.
Mit Einfach-mal-wachsen-Lassen ist es jedoch nicht getan. Die Studie zeigt, dass es neben den guten Gräsern, Moosen und Flechten, die den Stein schützen, auch weniger gute gibt. Nicht alle Mikrogräser, die sich während der Pandemie auf dem großen Platz ansiedelten, sind geeignet. Manche halten dem Verkehr von Menschen oder Fahrzeugen über längere Zeit gar nicht stand. »Ich probiere es gerade hier an einer sehr großen Mauer von einem Denkmal aus.« Die Biologen katalogisieren die Arten auf der Mauer. »Wir belassen diejenigen, die Energie und Wasser einfangen und die Mauer festigen. Und die schädlichen entfernen wir. Das war's«, sagt Panero.
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Noch gibt es viele Vorbehalte gegen diese Ideen. »Als ich mit dem Priester sprach, der für das Denkmal zuständig ist, schaute er mich an, als sei ich verrückt geworden«, lacht Ángel Panero. »Er hat wohl gedacht, jetzt haben wir es geschafft, dass die Mauer gereinigt wird, und dann taucht so ein Typ auf, der das gar nicht will.«
Paneros Vision von den Superkräutern stößt auch in anderen Entscheiderkreisen auf wenig Gegenliebe. Vor allem die Stadtreinigung stellt sich entschieden gegen die neue Idee. »Für sie sind Unkräuter Feinde. Sie haben mir erzählt, dass sie Pestizide draufgießen«, berichtet Panero. »Da wurde mir klar, dass wir in einer herbiziden Kultur leben, die Unkraut als etwas Schlechtes betrachtet. Aber früher hatten die Straßen auch grüne Fugen, und keinem erschien das komisch.«
Lange Zeit wurden die »sauberen« Steinfugen mit Wohlstand und kulturellem Fortschritt gleichgesetzt. »Wenn wir uns von der Vorstellung befreien, dass eine Mauer schmutzig oder verwahrlost aussieht, wenn Moos oder Blümchen auf ihr wachsen und die Bienen kommen, dann fangen wir an, diese Landschaft auf eine andere Art zu interpretieren«, sagt Panero. Für ihn ist klar: Im Kampf gegen den Klimawandel werden wir immer stärker alle Möglichkeiten nutzen müssen, die es gibt – und sei es die Power der Superkräuter gegen den Hitzestress.
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