Text und Grafik aus 'Vorankommen in modernen Städten - Neu gedacht', einer ETH-Studie Forschender der ETH Zürich und der EPF Lausanne 2023
Wie sähe der Strassenraum aus, wenn eine Stadt die Hälfte ihrer Verkehrsflächen fürs Radfahren und E-Biken zur Verfügung stellte? Benutzten Städter:innen dann häufiger ihr Rad? Wäre die E-Bike-City gar ein Ansatz, um die verkehrsbedingten CO2-Emissionen zu senken? Mit einem Kommentar am Schluss des Artikels.
Wie Zürichs Strassen aussehen müssten, damit mehr E-Bikes als Autos fahren? Was passiert, wenn Städte ihren Strassenraum in erster Linie auf den Bedarf beim Radfahren und E-Biken ausrichten? Auf einer neuen, populärwissenschaftlichen Website zeigen ETH-Forschende vom Departement Bau, Umwelt und Geomatik an Beispielen aus der Stadt Zürich, wie eine solche E-Bike-City dereinst aussehen könnte.
.Mehr Raum für die Menschen statt für die Autos
Im Unterschied dazu wären die Fahrspuren für Autos, öffentlichen Verkehr (Trams, Busse), Zweiräder (Velos, E-Bikes) sowie die Gehwege für Fussgänger:innen in der E-Bike-City grundsätzlich voneinander getrennt. Dafür müsste kein zusätzlicher Strassenraum neu gebaut werden, sondern der bestehende würde umgebaut. Das innerstädtische Autostrassennetz bestünde in der E-Bike-City weitestgehend aus einspurigen Einbahnstrassen. Die Fahrspuren für die Räder und E-Bikes befänden sich in der Regel links und rechts der Einbahnstrasse. Der öffentliche Verkehr wiederum führe weiter auf den bestehenden, separaten Fahrspuren. «Eine derartige Neugestaltung gäbe den Menschen mehr Raum zurück», sagt Kay Axhausen.
Um die Neuerungen der E-Bike-City so realistisch wie möglich darzustellen, haben die Forschenden drei typische Beispiele aus der Stadt Zürich ausgewählt: Das Bellevue und die Quaibrücke beim Zürichsee, die Birchstrasse in Zürich-Nord und die Winterthurer-/Letzistrasse in Zürich-Oberstrass. An diesen Beispielen zeigen sie, wie anders ein Strassenraum aussähe, wenn er rad- statt autofreundlich gestaltet wäre. Mit einem Bildschieberegler lassen sich der heutige Strassenraum und der mögliche zukünftige Zustand direkt miteinander vergleichen.
.Der Entwurf der E-Bike-City folgt bestimmten Gestaltungsprinzipien: Ausgehend vom bestehenden Strassennetz wird jeweils die eine Hälfte jeder Strasse zu einer sicheren und komfortablen Fahrradstrasse umgebaut, die mit dem Rad, Elektrorad, Lastenrad, Elektrotretroller etc. befahren wird. Die andere Hälfte der Strasse dient nach wie vor den Autos (Benzin oder Batterie), sodass die Zufahrt zu Wohn- und Bürogebäuden gewährleistet ist.
.In vier Schritten zum E-Bike-freundlichen Bellevue
Auf ihrer Storymap-Website zeigen die ETH-Forschenden am Beispiel des Zürcher Bellevues und der Quaibrücke, wie sich die E-Bike-City-Prinzipien in vier Schritten realisieren liessen:
Dynamische Strassennutzung gegen Staus
Neben diesen Schlüsselmassnahmen untersuchen die ETH- und EPFL-Forschenden weitere Begleitmassnahmen. Zum Beispiel könnte die Umstellung auf ein städtisches Einbahnstrassennetz die Autos stauen. Diese Stau-Wahrscheinlichkeit liesse sich mit einer dynamischen Strassennutzung senken. Dabei würde je nach Tageszeit mittels Lichtsignalen gesteuert, in welcher Richtung die Autos und Fahrräder jeweils die Strasse benutzten und wie viele Fahrspuren sie nutzen könnten. Auch die Akzeptanz der E-Bike-City wird untersucht. Zum Beispiel könnten sich Autofahrende benachteiligt sehen, wenn der Radverkehr bevorzugt gefördert wird. «Im Forschungsprojekt überprüfen wir, wie tragfähig und kostendeckend die Grundannahme und die Prinzipien der E-Bike-City sind, und welche Voraussetzungen für einen möglichen Umbau nötig sind», sagt Kay Axhausen.
.Zielkonflikte von Verkehrs- und Klimapolitik überbrücken
«Als Forscher habe ich mich bislang nie direkt in die verkehrspolitische Debatten eingebracht», sagt Axhausen, «mit dem E-Bike-City-Projekt ist das anders, da bringen wir uns tatsächlich aktiver in die Verkehrspolitik ein.» Zum Beispiel wurden die Storymap-Website und die Erkenntnisse der E-Bike-City diese Woche Simone Brander vorgestellt, die im Zürcher Stadtrat für den Verkehr zuständig ist. Dieses Engagement hat sehr viel mit dem Klimawandel zu tun, der viele Verkehrsprobleme wie das klassische Stau-Problem überschattet, und neue Lösungsansätze erfordert.
«Mit Blick auf die Erderwärmung können wir in der Verkehrsplanung nicht wie bisher weitermachen. Wir brauchen neue verkehrspolitische Ideen für die Städte. Die E-Bike-City ist auch ein Modell, wie der Verkehr seine Treibhausgasemissionen reduzieren kann», sagt Axhausen, «die E-Bike-City soll zeigen, dass Fahrrad und E-Bike als Standardverkehrsmittel in der Stadt dienen können. Unsere Vision ist es, dass die Stadt bequemer, leiser, grüner und gesünder wird als heute.»
Namentlich das Transportsimulationssystem MATSim, das er mit seiner Forschungsgruppe in den vergangenen 20 Jahren mitentwickelte, hat, wie Axhausen sagt, «eine grosse, durchschlagende Wirkung erreicht.» Heute kann MATsim zahlreiche Aspekte des Verkehrsverhaltens simulieren. «Die grösste Anwendung, die wir derzeit in vernünftiger Rechenzeit simulieren können, umfasst ganz Deutschland, also die Verkehrsentscheidungen von 85 bis 90 Millionen Menschen.»
Fragen der Verkehrsplanung sind nie ausschliesslich wissenschaftlicher Natur, da ihre Umsetzung letzten Endes immer eine politische Entscheidung erfordert. MATSim und E-Bike-City stehen in dieser Hinsicht sinnbildlich für zwei Haltungen, wie der Forscher mit der Nähe zur Politik umgehen kann. MATSim und die Modellierung des Verkehrsverhaltens verdeutlichen das Selbstverständnis des Grundlagenforschers, der die Verkehrspolitik im Hintergrund unterstützt. E-Bike-City auf der anderen Seite steht für die Hinwendung zu Politik und Gesellschaft, bei der der Forscher neue Ideen für die politische Debatte entwickelt sowie Lösungsansätze und Handlungsoptionen aufzeigt.
A – Gesamtentwurf und Koordinierung
Ein Post-Doc/Projektkoordinator wird gemeinsam mit allen anderen Teilnehmern die E-Bike-Städte für unsere Fallstudien entwickeln, entwerfen, bewerten und visualisieren, aber auch die Gestaltungsrichtlinien für weitere Städte entwickeln. Diese Arbeit wird auf den rechnerischen Fortschritten, neuen Methoden und neuen Parameterschätzungen der anderen Teilprojekte aufbauen. Dieses Teilprojekt wird die Interaktion innerhalb des Teams und mit den externen Interessengruppen koordinieren. Es wird die Organisation der externen Veranstaltungen, Charettes, Kurzkurse und Exkursionen des Projektteams unterstützen.
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B – Mehrstufige, reaktionsfähige ÖV-Planung für bimodale Nachfrage
Es ist notwendig, im Voraus zu planen, um diese Schwankungen mit minimalen und leicht umzusetzenden Maßnahmen bewältigen zu können, indem zwei oder drei Betriebsarten (die von der tatsächlichen Nachfrage abhängen) in die Planung der Streckenabstände und Ressourcen einbezogen werden. Die Planung muss mehrere Skalen überbrücken, um die geplanten Ressourcen zu verstehen, die im Voraus (z. B. ein Jahr im Voraus) und präzise (kurz vor dem Betrieb, z. B. eine Woche im Voraus, einen Tag im Voraus und eine Stunde im Voraus) benötigt werden.
.C – Planung des neuen Netzes und seiner Kapazität
Im Rahmen des Projekts werden Algorithmen für die optimale Gestaltung von Einbahnstraßennetzen für motorisierte Fahrzeuge entwickelt. Der Algorithmus wird erweitert, um die Überlagerung des Rad- und Fahrzeugnetzes und die adaptive Änderung für Not- und Servicefahrzeuge zu ermöglichen. Das Ziel wird entweder als multimodale Kapazitätsoptimierung oder als Minimierung der Fahrstrecke formuliert, um die Umweltauswirkungen unter Kontrolle zu halten.
Unter Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte der bestehenden Gestaltungsstandards werden in diesem Schritt Standards für die wichtigsten Straßentypen und Kreuzungen entwickelt. Es wird überprüft, ob diese Typen mit dem zuvor entwickelten Netzentwurf kompatibel sind, und das Netz wird gegebenenfalls neu optimiert.
D – Belastungsabhängige dynamische Raumzuweisung für verschiedene Verkehrsträger
Reservierte Fahrspuren für verschiedene Verkehrsträger können verkehrsbedingte Verzögerungen auch für nicht priorisierte Fahrzeuge reduzieren. Das MFD kann die dynamischen Interaktionen zwischen konkurrierenden Verkehrsträgern erfassen, und es kann ein allgemeiner Rahmen für die Zuweisung von Straßenraum entwickelt werden, der den Passagierdurchsatz und die Verwaltung der Straßenkapazität optimiert.
E – Räumliche Optimierung von Fahrradstraßennetzen
Eine Schlüsselkomponente des E-Bike City-Projekts ist die Planung des Fahrradnetzes. Teilprojekt C entwickelt eine Planungspipeline mit heuristischen Algorithmen, aber die Zuweisung des Fahrradnetzes ist ein kombinatorisches Problem mit mehreren Zielen. Mathematische Optimierungsmethoden wie die lineare Programmierung ermöglichen die Optimierung des Netzes im Hinblick auf globale Ziele, z. B. die Suche nach dem besten Kompromiss zwischen Fahrrad- und Autofahrzeiten. Wir entwickeln einen Optimierungsrahmen, der effizient und auf reale Straßennetze anwendbar ist, und vergleichen ihn mit den in Teilprojekt C entwickelten Ansätzen.
F – Umweltnutzen und –auswirkungen der E-Bike-City
Dieses Teilprojekt zielt darauf ab, die Umweltvorteile und -auswirkungen der künftigen E-Bike-Stadt mithilfe von Lebenszyklusanalysen (LCA) zu bewerten. Szenario-Informationen über Veränderungen der Infrastruktur, Anzahl und Technologie der Fahrzeuge (privat, gemeinsam und öffentlich) sowie die von jedem Fahrzeugtyp zurückgelegten Strecken werden aus den anderen Teilprojekten stammen. Diese Informationen werden mit bestehenden und neu erstellten Lebenszyklusinventardaten verknüpft, um die Umweltleistung (und "Wünschbarkeit") aller Szenarien zu bewerten und zu vergleichen. Ökobilanzdaten über den Bau und den Betrieb der Infrastruktur, verschiedene Fahrzeugtypen, Kraftstoffe und Strommixe liegen bereits vor, aber die technologische Entwicklung muss im Rahmen dieses Projekts prognostiziert werden, um künftige Szenarien zu bewerten.
.G – Politische Umsetzung der E-Bike-City
Dieses Teilprojekt zielt darauf ab, die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der politischen Umsetzung einer E-Bike-City aus der Perspektive der Bewohner zu untersuchen. Unsere Forschung befasst sich mit der Frage, wie wir öffentliche Akzeptanz erlangen können und wie verschiedene Faktoren wie die Bereitstellung von Informationen, das politische Design, flankierende politische Maßnahmen und die Umwidmung von Straßenraum die öffentliche Meinung beeinflussen. Zu den Schlüsselfragen, die wir untersuchen, gehören die Bewertung des Konzepts der E-Bike-City durch die Öffentlichkeit, die wahrgenommenen ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen und die Wirksamkeit verschiedener politischer Gestaltungsstrategien auf die öffentliche Wahrnehmung.
.H – Abschätzung der Auswirkungen der E-Bike-City
Die E-Bike-City könnte und würde die Erreichbarkeit der verschiedenen Teile der Stadt und ihres Umlands drastisch verändern. Sie würde die Bewohner auch dazu einladen und zwingen, ihre Zeitpläne und Tagesabläufe an die neuen Zwänge anzupassen, insbesondere für diejenigen, die sich für auto-abhängige Heimarbeitskombinationen entschieden haben. In diesem Teilprojekt soll untersucht werden, wie hoch die allgemeinen Kosten dieser Veränderungen sind und wie groß, wenn überhaupt, die Verluste an Erreichbarkeit wären. Es würde diese Auswirkungen für die verschiedenen Nutzergruppen nachzeichnen, um etwaige Gerechtigkeitseffekte zu ermitteln, die durch weitere politische Interventionen und Maßnahmen ausgeglichen werden müssten.
.I – Kosten für die Schaffung einer E-Bike-City
Wenn man über einen Übergang zu einer E-Bike-City nachdenkt, sind zwei wichtige Faktoren die Sicherheit und die Baukosten. Dieses Teilprojekt quantifiziert das Unfallrisiko für Radfahrer, das sich aus den Veränderungen in der E-Bike-City ergibt, und wie viel es kosten wird, die für den Übergang zu einer solchen Stadt erforderliche Infrastruktur zu bauen.
.J – Nutzenbasiertes Planungsmodell
Die Schätzung von Wahlmodellen, die modellieren können, wie Menschen ihren Tagesablauf gestalten, hat letztlich das Ziel, MATSim Bewertungsfunktionen zu geben, die empirische Schätzparameter anstelle von kalibrierten Parametern sind.
. .Die Studie ist sehr umfassend. Es ist auch sehr erfreulich, wenn jetzt die ETH mit ihrer Studie den personell unterbesetzten Ämtern bei der Planung, Empfehlungen und Verordnungen unter die Arme greift. Beschleunigte Prozesse erzwingen ein Umdenken bei den Baufirmen bei der Umsetzung einer Verkehrsinfrastruktur, in der nicht nur das Auto im Zentrum steht.
Zahlreiche Einbahnstrasse wurden in den letzten Jahren für das Velo geöffnet. Das scheint gut zu funktionieren. Der ETH-Vorschlag skizziert als Spielart dazu den Velo-Gegenverkehr auf einer MIV-Spur. Welche Strasse sich für die einfache Öffnung eignet, welche für den gebündelten Velogegenverkehr wird von den Planern vor Ort entschieden werden müssen.
Die ETH wäre hingegen prädestiniert, dem ASTRA bei der Normierung zuzudienen. z.B. bei der Anpassung an innovatives EU-StV-Recht, Signalisation, Zufahrt und Parkierung des MIV, Verordnung der Quartierparkplätze, Umgang mit Kreuzungen – insbesondere bei wenig Raum, Unfallverhütung, velofreundliche Randsteine, velofreundliche behGkonf. Haltestellen, Baudokumentation (was gibt es ausser Asphalt sonst noch).
. .Vermisst werden Regelwerke: Überarbeitete Normierung und Empfehlung an die Bauunternehmen, die Polizei sowie die Tiefbauämter fehlen in den Studien. Solche wären zum Beipiel beim Planen von Trottoirüberfahrten, den Fussängerinsen, der Plazierunge von Signalen, der Baustellensignalisation sehr gefragt. Das zunehmend diversivizierte Strassenmobiliar oder die Vereinfachung – als Beispiel sei genannt, bei Tempo 30 km/h die Fussgängerstreifen wegzunehmen – lässt auf Prioritäten auf das Auto gesetzt rückschliessen.
Artikel zum Thema: Velounfreundlicher Randstein | Aspaltieren – was gibt es sonst noch?
Bewertung: –
.Ortskundige Planer: Die Kosten für die Tiefbauämter und Baufirmen für die Planung einzelner Strassen sind sehr hoch. In der Vergangenheit wurde darum Manpower bei den Planungsämtern systematisch abgebaut. Dem setzt die ETH-Studie verschiedene Tools (EBIS, eqasim, MATSim, SNMan) gegenüber. Bei der Methodik sind Parallelen zu denjenigen der Umsetzung des Veloweggesetzes von 2021 möglich.
Bewertung: +
Verschärfte Arbeitsbedinungen ÖV: Reaktionsfähige ÖV-Planung ergibt für das Personal weniger attrakrive Arbeitszeiten. Der Problemkreis sollte parallel mit der Planung auch mit HR und Personalverbänden diskutiert werden. Dynamische Nutzung und dynamische Verkehrssygnale sind für selbstregulierenden Verkehr wie MIV und Velo hingegen sehr spannend. Signalisation mit LED ist bisher bei Geschwindigkeitsempfehlungen bekannt. Weitere Anwendungsmöglichkeiten bekannt zu machen. Lokale Warnsysteme bei Verengungen, Veloaufkommen beim Rechsabbiegen, ist sehr zu begrüssen. Die ETH-Studie gibt leidern den Anschein, als ob sich solche Anwendungsmöglichkeiten nicht auch heute schon zur Unfallverhütung anwenden liessen.
Artikel zum Thema: Verkehrssignale in verkehrsberuhigter Zone
Bewertung: -
.Weitere Themen: Erreichbarkeit mit MIV und die Quartierparkplätze, Umgang mit Kreuzungen bei wenig Raum, Unfallverhütung, Randsteine, Materialität (was gibt es ausser Asphalt sonst noch), Zusammenarbeit weiterer Ressourcen wie 'Dutch Cycling Embassy'. . . [Fortsetzung folgt]
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